Red Be All The Gold #9, Ve.Sch 2022
(text as a first draft by curator Hans-Jürgen Hauptmann)
1. Akt
Wir sind im 3. Akt von Manon.
Der Chevalier Des Grieux hat aufgrund einer verschmähten
Liebschaft dem weltlichen Leben entsagt und sucht Zuflucht im
Priesterseminar von Saint-Sulpice, wo er in der Hinwendung zu Gott
Linderung und Trost für sein gebrochenes Herz erhofft. Soweit, so
uninteressant. Und es gäbe kaum einen vernünftigen Grund, sich
auch nur eine Sekunde mit dem weiteren Geschehen zu befassen, wenn
nicht Günter Puller zur selben Zeit im Zuschauerraum sitzen würde.
Bis zu diesem Moment noch total gelangweilt - zwangsbeglückt von
seiner Gefährtin, die ihm die Karten zum Geburtstag geschenkt hat.
Doch dann passiert etwas merkwürdiges. Der Chevalier Des Grieux -
gespielt vom damals frisch entdeckten Rolando Villazon - wendet
sich direkt an Günter Puller und intoniert eine Arie, die den
solcherart besungenen und verblüfften Adressaten zu Tränen rührt
und ein derart intensives und nachhaltiges Resonanzerlebnis
auslöst, das sein Herz und seinen Verstand komplett durcheinander
bringt, und von dem er sich lange nicht mehr erholen wird.Was war
geschehen? Wie kann ein gekünsteltes, behäbiges, elitäres und
heillos anachronistisches Medium wie die Oper in Zeiten von TikTok
und Snippets einen derart starken Impact auslösen?
Red Be All The Gold - Ve.Sch 2022
2. Akt
Die Handlung spielt 10 Jahre in der Zukunft (wahrscheinlich in
Wien). Günter Puller kämpft gegen übermächtige Algorithmen aus
Hollywood, die ihn zwingen, Menschen zu Monstern mutieren zu
lassen. Soweit, so normal. Klassische Sciencefiction als
Daily-Business.
Seit dem Erweckungserlebnis vor 10 jähren arbeitet der Künstler an
seiner eigenen Oper.
Sie ist das Produkt einer anhaltenden Verblüffung, jahrelangem
Opernkonsum und kreativer Neugier. Das Nachdenken über die
einstige Erschütterung hat immer weitere Kreise gezogen, hat
bildhauerische Methoden mit Techniken des Komponierens
verschränkt, semantische Verfahren mit szenografischen Strategien
konfrontiert, das kollektive Unbewusste von
Visualisierungs-Softwares entlang gesellschaftspolitischen
Konfliktlinien kristallisieren lassen.
Die täglichen Reibereien künstlerischer Praxis lassen mithin
virulente Problemlagen aufflackern. Sie erzeugen als Nebenprodukt
aber auch einen wissenschaftlich allzu-oft, unterschätzten
Rohstoff - die Abwärme der Vernunft: Gefühle. Sie sind der
eigentliche Stoff, aus dem die Opern sind.
3.
Akt
The time is now.
Alexander Kluge bezeichnete die Oper einst als ,,Kraftwerk der
Gefühle". Und er attestierte: ,,Gefühle sind von Haus aus
Rebellen". Kann also die Oper ein utopischer Ort der Gegenrealität
sein/werden? Als Einspruch des (Un)Möglichen gegen die Macht des
Faktischen und die Übermacht des Objektiven?
Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt:
,,Mein ein Herz Erz …"
Establish a rhythm! Even a stumbling one ...
Vegetables & Housing, 2020 / Excerpt from the
storyboard for the upcoming music-film: "Red Be All The Gold"
"An die Arbeit...", Upper Austrian State Museums - Landesgalerie
Linz
Gottfried Hattinger, Kurator "An die Arbeit":
Die Landesgalerie Linz zeigt künstlerische Positionen, die den
Arbeitsbegriff als Schaffensprozess verhandeln – in Form von
Selbstbefragungen, als Laboratorium, Environment oder als
performative Handlung. Werkprozesse werden thematisiert und zum
Gegenstand einer Auseinandersetzung mit Selbstverwirklichung,
sozialem Status und der Stellung in der Gesellschaft erhoben.
Künstlerinnen und Künstler reflektieren ihr eigenes Tun, ihre
zuweilen absurd erscheinenden Prozeduren des Werkens und Wirkens.
Triebkräfte sind hier am Werk, die von der breiten Gesellschaft
oft nicht als „richtige Arbeit“ angesehen werden, sondern als
Spinnereien von Freigeistern, die sich den Luxus erlauben, keiner
regelrechten, fremdbestimmten und entfremdeten Erwerbsarbeit
nachgehen zu müssen. Selbstbestimmung, Einheit von Leben, Kunst
und Arbeit sind künstlerische Idealvorstellungen, die selten mit
der Realität in Einklang gebracht werden können.
Das künstlerische Unternehmertum mit seinen Idealen sieht der
Autor und Kunstmarktexperte Tobias Timm spätestens mit dem
Aufkommen des Neoliberalismus als Leitbild des Kapitalismus: "Die
Künstler stehen für all jene Tugenden, die nicht nur die modernen
Unternehmen, sondern auch deren erfolgreiche Angestellte und
Arbeiter auszeichnen sollen. Sie identifizieren sich vollkommen
mit ihrem Werk oder Produkt, sie sind hochflexibel, was die
Produktionszeiten und -orte angeht, und sie optimieren sich und
die Arbeitsprozesse laufend weiter.
Pullers Installation „Rot sei all das Gold“ zeigt den aktuellsten
Stand seines Arbeitsprozesses zur bevorstehenden Umsetzung der
Novelle von Ermins letztem Tag als Opernfilm:
Der 30-jährige ERMIN will heute Abend Wien für immer verlassen und
anderswo ein spannenderes Leben beginnen. Mehrere Flüge - alle mit
unterschiedlichen Bestimmungsorten - hat er gebucht. Sämtliche
Tickets sind allerdings auf dasselbe Datum und dieselbe Uhrzeit
der Abreise ausgestellt. Ermin weiß noch nicht wohin. Erst in
letzter Sekunde möchte er die Wahl für ein Ziel treffen.
Die Ordnung, das Zusammenspiel, der ständige Wandel der Dinge und
Gegebenheiten, sowie deren Abhängigkeiten voneinander sind Thema
der Inszenierung. Trotz der Komplexität des gezeigten Filmsets
passiert Reduktion kontinuierlich in Pullers Kompositionen – ganz
nach einem Grundsatz aus der Drehbuchwelt: Kill your darlings!
Rot sei all das Gold - Landesgalerie Linz, Foto: Rainer Iglar
Chor: "Wohnen darf sich nicht lohnen
nicht Gesundheit, nicht Gewand und Verstand
weder Grundnahrung noch Bildung zur Kunst."
Ermin: "Nein, diesmal stech ich nicht zu
kein Kampf mehr bringt mir Gelingen
die gestrigen Siege - längs faul
beklatscht nur - beharrlich und friedlos - ganz allein
beklatscht eure Siege nur ganz allein."
Rot sei all das Gold - Landesgalerie Linz, Foto: Rainer Iglar
MP3 Audiosample:
"Same Time Tomorrow", Kunstpavillon - Tiroler
Künstlerschaft
Hili Perlson to the installation:
While research may now be a prerequisite for all artistic
practice, as contemporary strands of criticism postulate, the
artist as researcher seems to occupy a very specific realm within
the systemic organization and categorization of knowledge.
Artistic production that emerges from an alternative approach to
information—information that is potentially accessible to all, it
is important to mention—is not easily quantifiable. Moreover,
research based art is not geared towards an objective
"conclusion", as the ideological and oftentimes emotional
investments and intrinsically subjective dimension of the artistic
process channel the research into abstraction and condensation.
The critical focus of artistic research work shifts away from the
mere description of socio-economic, cultural and historical events
(knowledge) and towards a presentation of an inquisitive process
(thought). The work, therefore, cannot be considered a product but
rather a documentation and presentation of a process; a
practice-led enquiry that is, in turn, of a documentary nature.
Günter Puller's
mixed media installation offers a glimpse into the current status
of a work process that extends over a number of years. A film
script lies at the core of the process, but the film is actually
based on an opera, all musical scores and arias of which were also
composed by the artist. Individual objects in the installation
relate to the narrative, like a wheel indicating the road accident
the protagonist will be involved in, and parts of the script are
silk screened onto props. Next to fragments of the script (that
have been written and re-written time and again, as becomes
evident when referring to the dates indicated on the pages) and
some of the music sung by the protagonists (all the texts in the
film are in fact sung), Puller also incorporates devices used in
the filmmaking process to create effects. The installation thus
receives an air of a "making of" type documentary, along with the
insight it offers into the artist's work process. However, since
the film has been in the making for several years, these insights
are intertwined with other works Puller has been producing
simultaneously, and thus create a system of references to the
artist's own work.
The plot tells
the story of a young man who seems to live in a society governed
by a Western value system. He wants to leave his native country.
Tomorrow. But he doesn't know where to. What he also doesn't know
is that this would be the last day of his life. He meets a
vegetable vendor who turns out to be a revolutionist and sings of
change. While revolutionary sentiments might conjure up a specific
time and a place for the viewer, it remains unclear exactly what
time in history the narrative might evoke. And while some of the
props stem from a certain era (the artist's childhood?), the
narrative is set in the present, while the installation in turn
indicates the future – far or near is also uncertain – when the
film will be done.
Forschung
wird von einem Großteil der Stimmen innerhalb der zeitgenössischen
Kunstkritik als Grundvoraussetzung jeglicher künstlerischen
Arbeitsweise betrachtet.
Künstler als Forscher
scheinen allerdings mit ihrer Praxis einen spezifischen Bereich
innerhalb der Organisation und Kategorisierung von Wissen nach
Systemen zu besetzen. Künstlerische Produktion, die aus
alternativen Formen der Annäherung an Information entsteht
(Information, die potentiell immer für jede und jeden zugänglich
ist), lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken oder quantifizieren.
Forschungsbasierte künstlerische Praxis ist nicht auf
objektivierbare Schlussfolgerungen ausgerichtet. Vielmehr bewirken
die ideologischen und oft emotionalen Anteile und die in ihrem
eigentlichen Wesen subjektive Dimension des künstlerischen
Prozesses, dass Forschung und ihre Ergebnisse abstrahiert und
kondensiert werden. Statt an der reinen Beschreibung
sozio-ökonomischer, kultureller und historischer Ereignisse
(Wissen) interessiert zu sein, richtet sich der kritische Fokus
künstlerischen Forschens auf das Sichtbarmachen von Prozessen der
Erkenntnissuche (Denken). Künstlerische Arbeiten in diesem Sinne
sind nicht Produkt; sie sind vielmehr die Dokumentation und
Präsentation eines Prozesses; eine von künstlerischer Praxis
beeinflusste und mit ihr im Wechselverhältnis stehende Recherche,
die selbst wiederum dokumentarischer Natur ist.
Günter Puller's multimediale Installation ermöglicht einen Blick
auf den aktuellen Stand eines Arbeitsprozesses, der bereits seit
einigen Jahren andauert. Ausgangspunkt dieses Projektes ist das
Drehbuch für einen Film, dessen Handlung in ein opernhaftes
Geschehen eingebunden ist. Die Musik und einzelne Arien sind vom
Künstler verfasst.
Die unterschiedlichen Objekte
der Installation beziehen sich auf die Ereignisse im Film. Ein Rad
etwa verweist auf den Verkehrsunfall in den der Protagonist
verwickelt wird. Auszüge aus dem Drehbuch sind mittels Siebdruck
auf Requisiten aufgebracht. Neben Fragmenten aus dem Script (das
immer wieder umgeschrieben wurde wie aus den Datierungen der
Blätter hervorgeht) und Teilen der Musik, die von den
Protagonisten gesungen wird (tatsächlich wird der gesamte Text im
Film gesungen) integriert Puller in seine Installation Geräte und
Arbeitsbehelfe, die beim Filmdreh benötigt werden. Zu sehen ist
somit ein "Making-of" - eine Dokumentation die Einblicke in den
Entstehungsprozess der Arbeit des Künstlers gewährt. Da sich
"tERMINal-facts" über mehrere Jahre erstreckt, finden sich in
Teilen der Installation auch Verbindungen zu Arbeiten aus anderen
Projekten Pullers, sodass sich gleichzeitig ein System von
Verweisen auf das Werk des Künstlers ergibt.
Die Handlung erzählt die
Geschichte eines jungen Mannes, der offensichtlich in einem
westlichen Land lebt, dieses aber für immer verlassen möchte.
Morgen. Noch weiß er nicht wohin. Was er außerdem nicht weiß ist,
dass dieser Tag auch der letzte seines Lebens sein wird. Eine
Gemüsehändlerin entpuppt sich als Revolutionärin, die von
Veränderungen singt. Revolutionäre Gefühle vermögen beim
Betrachter eine bestimmte Zeit und einen speziellen Ort
heraufzubeschwören; letztlich bleibt jedoch unklar, in welcher
Epoche die Erzählung tatsächlich spielt. Während einige Requisiten
offensichtlich aus der Vergangenheit (der Kindheit des Künstlers?)
stammen, scheint die Geschichte in der Gegenwart zu spielen - die
Installation wiederum verweist auf die Zukunft (nah oder fern ist
ebenfalls unklar - solange, bis der Film fertig gestellt ist).